Terror-Wahnsinn und Methode
von Klaus-Jürgen Grün
Mit einer Anfrage im saarländischen Landtag wollte die AfD wissen, welches die häufigsten Vornamen von Messer-Angreifern seien. Die Antragsteller waren offenbar überlistet worden von ihrer eigenen Gewohnheit, über jeden Messerangriff von Asylanten so häufig und ausladend zu berichten, dass jeder einzelne Angriff wie eine Vielzahl im völkischen Bewusstsein zur Resonanz gebracht werden konnte.
Seit geraumer Zeit ist das Ergebnis öffentlich.
Die häufigsten Vornamen lauten: Michael, Daniel und Andreas (https://www.merkur.de/politik/saarland-afd-will-haeufigste-vornamen-von-messer-taetern-wissen-ueberraschende-antwort-zr-12003083.html
Münchener Merkur vom 30.03.2019)
Aber wir haben keinen Grund zum Jubeln, wenn wir
wieder einmal eine rassistische Erwartung zur Enttäuschung geführt sehen. Wir
helfen nämlich den Anhängern der Fremdenfeindlichkeit und deren blutigen
Auswüchsen dabei, sich selbst als Fremde fühlen zu dürfen. Es stehen sich nicht
Demokraten und Anti-Demokraten feindselig gegenüber. Was hier einander zu
vernichten versucht, sind vielmehr Zweifler an der Glaubwürdigkeit eigener
demokratischer Gewohnheiten auf der einen Seite und diejenigen die ihren
Unglauben unverschämt aussprechen und danach handeln wollen.
Unsere nach vorherrschenden demokratischen
Verfahren gewählten Parteien werfen sich härter denn je wechselseitig
Vergiftung des politischen Klimas vor. Gleichwohl möchte offenbar keine darauf
verzichten, der jeweiligen Gegenseite eben diese Vergiftung vorwerfen zu
können. War es ein syrischer Messerstecher, dann schreien die AfD-Parteigänger:
„Merkels Tote“.
(https://www.facebook.com/heimatliebeharz/videos/merkels-tote-symbolische-beerdigung-vor-dem-reichstag/212796322860430/)
Ist es dagegen ein rassistischer Massenmörder, dann stabilisieren die Anhänger
der anderen Seite das selbe Denkmuster: „Die Saat der #AfD geht auf und diese
Schuld nimmt den Hetzern niemand“, twitterte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete
Matthias Hauer nach dem Blutbad des Hanauer Amokläufers.
(https://www.stern.de/politik/deutschland/wie-die-afd-das-attentat-von-hanau-relativiert-9149582.html)
Die gleichlautenden Denkmuster sind lange
bekannt, und die aus ihrer Bekanntheit gebildeten Alternativen genau so lange
ignoriert. In unserem binären Code der Moralen, die ausschließlich zwischen Gut
und Böse einzuordnen gewohnt sind, können stets nur die jeweils Anderen die
Bösen sein. Die dabei wirkende eingeschränkte Logik zielt auf Bestrafung des
Anderen und Schuldzuweisung, statt auf Auswege aus der Paradoxie. Freilich hat
auch Bestrafung und Schuldzuweisung eine Wirkung, das will ich nicht
bestreiten. Und auch meine Glücksgefühle schlagen höher, wenn ein Nazi
verdroschen wird. Aber diese Wirkungen lösen die Paradoxie nicht auf, in der
sich Gegner auf dem selben Feld
wechselseitig den Boden fruchtbar vorbereiten, damit der Andere die Früchte
ernten kann. Im Gegenteil, diese Gefühle, mit denen ich nicht alleine bin, sind
Bestandteil des Phänomens. Vergiftet wird dabei der Boden, auf dem kritische Diskurse hätten gedeihen können.
Auf diesem Boden gedeiht in erster Linie die Angst vor dem Anderen und dessen
Komplizen.
Niklas Luhmann führte beispielsweise schon Mitte
der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts das neue gemeinsame Interesse an
Angst – genauer „Angstverminderung“ – auf die Unmöglichkeit des binären
Moralsystems, seine eigene Moral moralisch abwerten zu können, zurück. Ihre
eigene Gültigkeit ist stets – entweder mit Berufung auf göttlichen Machtspruch
oder auf Selbstverständlichkeit von Vernunft – als wahr vorausgesetzt. Sie
bedarf des Anderen, um sich ihrer Andersheit zu versichern. Das völkische
Denkmuster benötigt die Metaphern „Fremde“ oder „Mauer“, um sich eine Identität
verpassen zu können. Jeder, der kein Fremder sein will, strukturiert sich den
Fremden so passend, dass er ihn aus seiner Gruppe der „Normalen“ oder sogar der
„Lebenswerten“ und „Vernünftigen“ ausgrenzen kann. Jeder ist nach diesem Muster
aber anderswo immer ein Fremder oder eine Fremde. Das Andere ist nur die andere
Seite des selben Blattes.
Der binäre Moral-Code produziert auf gleiche
Weise automatisch Unmoral. Wer moralisch ist, ist es hinsichtlich der
Nicht-Moral. Seine Identität bedarf der Nicht-Moral als einer Unsitte, um sich
davon abzugrenzen. Dabei entsteht Angst vor der Unsitte, der Nicht-Moral, dem
Anderen der Moral. Die Frage nach dem Wert der Moral, wie sie Nietzsche
gestellt hatte, muss in der Verdrängung gehalten werden. Der moralische Mensch
darf nicht daran zweifeln, dass Moral moralisch sei und Ethik ethisch. Moral
orientiert sich an Angstminderung. Schließlich kann ich meine Angst, böse zu
sein, am einfachsten dadurch mindern, indem ich eine oder einen mit konträrer
Meinung für böse erkläre.
„Angst wird dann zum funktionalen Äquivalent für
Sinngebung“, schrieb seinerzeit Luhmann, „und zwar zu einem haltbaren
funktionalen Äquivalent, da Angst (im Unterschied zu Furcht) durch keines der
Funktionssysteme weggeregelt werden kann. Panik kann nicht verboten
werden“. (Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation, Kann die moderne
Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, 4. Auflage, Verlag
für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004, S. 238f.)
Und weil Angst weder „rechtlich … reguliert“
noch „wissenschaftlich … widerlegt“, noch nicht einmal verordnet werden kann,
könnte eine Veröffentlichung der häufigsten Vornamen von Messer-Angreifern die
Angst vor einer Willkommenspolitik steigern. Dass dabei in erster Reihe
deutsche Vornamen stehen, macht den Nazis freilich noch lange keine Angst vor
den Deutschen. Aber im Ganzen haben diejenigen gewonnen, die das System „Angst“
stärken müssen, um von der eigenen Schwäche der Inhalte abzulenken.
So wie der Homophobe den Homosexuellen benötigt,
um seine eigene Tendenz zur Homoerotik in dem anderen abzutöten, so verhalten
sich gegenwärtig viele Verteidiger der Demokratie. Sie haben es versäumt, ein
Denkmuster zuzulassen, das danach fragt, wie demokratisch unsere demokratischen
Prinzipien sind. Was übrig bleibt, ist dann der Aufbau derjenigen, die
hemmungslos jede Errungenschaft der Demokratie niederreißen. Denn in der Abwehr
der unverhüllten Anti-Demokratie können wir unsere Zweifel an manchen alten
Prinzipien der Demokratie noch für ein paar Wahlperioden in der Verdrängung
halten.